Einführung: Was ist Sinn und Zweck der Mustersprache Wissenstransfer?
Die Mustersprache Wissenstransfer oder Wissen im Fluss bietet praxiserprobte Lösungswege für häufige Aufgaben- bzw. Problemstellungen bei der Organisation und Durchführung von Wissenstransfers. Die Lösungsbeschreibungen liegen in Form von immer gleich aufgebauten kompakten Mustern vor. Die Muster vereinen die theoretischen Grundlagen der Domäne Wissenstransfer mit dem Erfahrungsschatz ausgewiesener Expert:innen. Deren Expertise basiert nicht nur auf der Begleitung zahlreicher Wissenstransferprozesse, sondern auch auf der organisationalen Einführung von Wissenstransfer und der Ausbildung von Wissenstransferbegleiter:innen.
Die Mustersammlung ist so aufgebaut, dass die für den eigenen Anwendungsfall passenden Muster leicht zu finden sind, und einfach auf die konkrete Situation angewendet werden können. Das darin enthaltene Expertenwissen sorgt dafür, dass nur bewährte Lösungswege zur Anwendung kommen.
Hintergrund: Was ist eine Mustersprache?
Das Konzept der Mustersprache (engl. pattern language) wurde in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts vom Architekten und Mathematiker Christopher Alexander als Planungswerkzeug für Architekten konzipiert. Sehr rasch stellte sich heraus, dass die Grundidee auf viele andere Themengebiete anwendbar ist. Die Softwareentwickler-Community war eine der ersten, die das Konzept aufgriffen und Design Patterns zur Lösung von häufigen Softwareentwurfsproblemen entwickelte. Didaktische Entwurfsmuster und eine Mustersprache für e-Portfolios sind weitere bekannte Beispiele für Mustersprachen im deutschsprachigen Raum.
Eine Mustersprache ist eine Sammlung von Mustern, die aus Text und ggf. ergänzenden Grafiken oder Abbildungen bestehen. Jedes Muster ist eine Kombination einer allgemeingültigen Lösung eines wiederkehrenden Problems und dessen Kontext in einem bestimmten Wissensgebiet oder Thema (z.B. Verhinderung von Vereinsamung während Lock-Downs). Wie in einer natürlichen Sprache sind die Muster einer Mustersprache das Vokabular des Wissensgebiets. Mustersprachen enthalten explizit gemachtes, verknüpftes Erfahrungswissen und werden kollaborativ entwickelt.
Die Muster einer Mustersprache sind immer hierarchisch geordnet. Der oberste Knoten enthält das Muster mit der allgemeinsten Problem-/Lösungsbeschreibung. In jedem Muster werden die Verbindungen zu den übergeordneten Mustern ebenso angeführt wie die Verknüpfungen mit den unter- oder nebengeordneten Mustern. Durch diese Vernetzung können die Muster zu immer wieder neuen komplexen Lösungswegen variiert bzw. kombiniert werden, ohne die innewohnende Qualität der Muster zu verlieren. Alexander hat für diesen sehr erwünschten Effekt den Begriff Qualität ohne Namen geprägt. Wenn die Qualität ohne Namen entsteht, so Alexander, lassen die Muster und ihre Beziehungen untereinander Orte entstehen, an denen es möglich ist, innere und äußere Konflikte zu lösen, während ein Ort, an dem diese Qualität nicht entsteht, den Stress erhöht und innere und äußere Konflikte eskalieren lässt.
Wie viele ältere Konzepte haben auch die Mustersprachen eine evolutionäre Weiterentwicklung erfahren. Iba (2011a) beschreibt in seiner Evolutionsmatrix folgende drei Entwicklungsstufen von Mustersprachen:
- Mustersprache 1.0
Objekte des Designs in dieser Stufe sind physische Formen (z.B. aus der Architektur). Vorrangiges Ziel dieser Mustersprachen ist, die Kommunikationslücke zwischen Designexperten und Anwendern zu überbrücken. Das Zu-Tage-Fördern und Schreiben von Mustern ist ausschließlich Designexperten überlassen. Mustersprachen dieser Stufe kommen der Urform Alexanders am nächsten. - Mustersprache 2.0
Die Objekte des Designs sind hier nicht-physischer Form (z.B. Software, Schnittstellen, Organisation). Mustersprachen dieser Stufe sollen helfen, die Kommunikationslücke zwischen Designexperten und weniger erfahrenen Designern zu schließen. Das Zu-Tage-Fördern und Schreiben einer Mustersprache übernehmen hier ebenfalls die Designexperten. Deren Verbesserung und Weiterentwicklung erfolgt in enger Zusammenarbeit zwischen Designexperten und interessierten Laien. - Mustersprache 3.0
Die Objekte des Designs sind Formen des menschlichen Handelns (z.B. Lernen, Zusammenarbeit, Moderation, Change Management). Ziel ist, Menschen miteinander zu vernetzen, die unterschiedliche Erfahrungen haben [Ziel ist (zumindest bei uns) auch, das Erfahrungswissen zu vermitteln, das in der Mustersprache steckt. Ist das bei anderen Mustersprachen nicht der Fall?]. Das Zu-Tage-Fördern, Schreiben und Verbessern von Mustern geschieht durchgängig kollaborativ.
Die Entwicklung der Mustersprache Wissenstransfer aka Wissen im Fluss erfolgt weitgehend auf der Stufe 3.0. Ein kleines Autor:innen-Team (bestehend aus den unten genannten Expert:innen) identifiziert die Muster (Pattern Mining), schreibt sie in kleinen Subteams (Pattern Writing) und unterwirft sie anschließend einem Review- und Veredelungsprozess im gesamten Autor:innen-Team (Pattern Review).
Nach der Freigabe und dem Einbau der Muster in die Struktur der Mustersprache durch das Autor:innen-Team werden die Muster dem Feedbackgeber:innen-Team zum weiteren Review vorgelegt. Die Kommentare aus diesem Team werden von den Autor:innen besprochen und fließen anschließend in die Musterbeschreibungen ein. Das Lektor:innen-Team überprüft die Texte auf verständliche Sprache und korrekte Schreibweise.
Welche Gütekriterien haben die dialogisch erarbeitete Mustersprache geleitet?
Gütekriterien der dialogisch erarbeiteten Erkenntnisse (BN)
Ich stelle mir die Frage, ob wir das Feld der Gütekriterien in dieser Veröffentlichung (oder einer separaten) bearbeiten sollten. Hier sind die in der Forschung, insbesondere Sozialforschung, gebräuchlichen Kriterien Validität, Reliabilität, Objektivität, Transparenz, Intersubjektivität und Reichweite gemeint. Unsere Erfahrungen sind zunächst persönlich, d.h. basieren auf individuellen Erlebnissen, Schlussfolgerungen, Meinungen und möglicherweise Überinterpretationen, unbewussten Dazudichtungen, Verfälschungen von Erinnerungen usw. Durch den dialogischen Explizierungsprozess teilen wir diese Erfahrungen und versuchen sie einerseits zu bestätigen, andererseits auch widersprüchliche oder andersartige Erfahrungen gleichberechtigt nebeneinanderzustellen. Erhöhen wir damit die Übertragbarkeit auf andere Situationen? Wie ließe sich das feststellen?
Welches Set von Gütekriterien sollte thematisiert werden? Kriterien aus der quantitativen Forschung (Validität, Reliabilität, Objektivität), aus der qualitativen Forschung (Transparenz, Intersubjektivität, Reichweite) oder eine Kombination?
Validität (Gültigkeit)
Die Muster sollen anderen dazu dienen, Situationen zu bewältigen. Haben unsere Musterbeschreibungen daher den Anspruch externer Validität, d.h., sind sie für andere gültig? Funktionieren sie für andere? Macht es überhaupt Sinn, diese Fragen so kategorisch als Ja-nein-Fragen zu stellen?
Reliabilität (Zuverlässigkeit)
Können die Muster deswegen als reliabel also reproduzierbar bezeichnet werden, weil wir über unseren dialogischen Ansatz solche Musterbeschreibungen bevorzugen/befördern, die mehrere von uns so erlebt haben? Wann entscheiden wir uns für einen Konsens, wann für ein Sowohl-als-auch?
Objektivität
Hat es Sinn, über Objektivität nachzudenken? Oder widerspricht der Ansatz, persönliche Erfahrungen zu explizieren nicht schon prinzipiell einer Vorgehensweise, die auf Objektivität angelegt ist?
Transparenz
Wir erreichen Transparenz dadurch, dass wir beschreiben, wie wir im Lauf unserer Biografien unsere Erfahrungen sammeln und wie wir im dialogischen Formulieren der Mustersprache vorgehen.
Intersubjektivität
Reflektieren und im Dialog bearbeiten mit dem Ziel, dass die Muster nicht die einzig richtigen Wege beschreiben, sondern interpretierbar bleiben.
Reichweite
Wie ist die Verallgemeinerbarkeit der Muster? In welchen Kontexten lassen sie sich anwenden (Musterabschnitt "Kontext")?
Überblick: Welche Struktur hat die Mustersprache?
(Gliederung, Beziehungen, Standardaufbau der Muster, attributierte Tags, Emotionen, Visualisierung)
Aufbau der Mustersprache
Die Mustersprache Wissenstransfer bzw. Wissen in Fluss bringen gliedert sich in die zwei Säulen Wissen in Fluss bringen auf organisationaler Ebene und Wissen in Fluss bringen auf individueller Ebene. Innerhalb dieser Säulen sind die Muster in folgende Ebenen eingeordnet:
- Wissenstransferprozess übergreifend
- Wissenstransferprozess vorbereiten
- Wissenstransferprozess ein-/durchführen
- Wissenstransferprozess etablieren/nachbereiten
Zusammenhänge zwischen den Mustern werden über die Strukturelemente Verbundene Muster und Alternative Muster in den jeweiligen Mustern angegeben bzw. in den Muster-Kurzbeschreibungen über die Beziehungen dargestellt.
Die Säule Wissen in Fluss bringen auf organisationaler Ebene ist in blauen Farbschattierungen und die Säule Wissen in Fluss bringen auf individueller Ebene in orange eingefärbt. Die Farbschattierungen werden pro Ebene um eine Stufe dunkler im jeweiligen Farbschema. Die folgende Übersicht zeigt die verwendeten Farbschemata und Textfarben der Mustersprache.
Für die Darstellung von Zusammenhängen (Relationen) zwischen einzelnen Mustern wird in dieser Grobübersicht verzichtet. Die Beziehungen sind in der digitalen Version der Mustersprache zu finden.
Musternamen werden in weiterer Folge unterstrichen angeführt, damit sie im Fließtext sofort als Musternamen erkennbar sind.
Beziehungen
Muster sind über Beziehungen miteinander verknüpft. Folgende Beziehungen werden in der Mustersprache verwendet:
- unterstützt - (Muster) A verbessert die Qualität von (Muster) B bzw. liefert einen Beitrag für B
- gehört zu - A ist Untermuster von Obermuster B
- erfordert - A benötigt nach Möglichkeit B
- führt zu - A ist Ursache oder Auslöser von B
- ist Alternative zu - A und B haben den gleichen Kontext, freie Wahl von A oder B
- beinhaltet - A inkludiert B
Standard-Aufbau der Muster
Prinzip
Jedes Prinzip ruft immer den gleichen Effekt auf Basis der Konstellation spezifischer Faktoren hervor. Prinzipien sind eine Art "Naturgesetz" und dienen daher als oberstes Ordnungskriterium der Muster. Jedem Muster ist mindestens eines von 8 Prinzipien zugeordnet.
Wenn z.B. ein Muster mit dem Prinzip "Ganzheitlichkeit" versehen wird, trägt das beschriebene Muster zu einer umfassenden Sicht auf die Aufgabenstellung bei.
Klassifikation
Um sich im Vokabular der Mustersprache leichter zurecht zu finden, enthält dieses Strukturelement ein oder mehrere Begriffe, die das Muster in die semantische Struktur der Mustersprache einordnen.
Da derzeit der Teilbereich "Wissenstransfer" bearbeitet wird, enthält dieses Strukturelement nur diesen Begriff.
Mustername
Erst durch einen guten Namen wird das Muster ein Teil der Mustersprache. Der Name ist knapp und präzise und vermittelt den wesentlichen Gehalt des Musters.
Z.B. der Mustername "Unbegleiteter Wissenstransfer" legt nahe, dass das Muster eine Lösung zur optimalen Bewältigung einer solchen Situation enthält.
Kontext
Dieses Element beschreibt die Umgebung, in der das Muster am besten seine Wirkung entfaltet bzw. welchem Zweck es dient. Es enthält alle wichtigen Voraussetzungen für die erfolgreiche Anwendung der skizzierten Lösung im Muster.
Aufgabenstellung
Hier wird so präzise wie möglich in einer oder mehreren Fragen ausformuliert, für welche Problemstellung das Muster eine bewährte Lösung anbietet. Der/die Anwender/in des Musters erkennt daraus, ob das Muster ihrer/seiner Aufgabenstellung entspricht.
Spannungsfelder
Die Spannungsfelder beschreiben, mit welchen Schwierigkeiten im Umfeld zu rechnen ist und wie darauf angemessen reagiert werden kann, um die Aufgabenstellung erfolgreich zu bewältigen.
Lösungsweg
Alle verfügbaren und in der Praxis bewährten Erfahrungen zur Lösung der Aufgabenstellung werden hier möglichst kompakt und verständlich zusammengefasst. Folgt der/die Anwender/in der beschriebenen Vorgehensweise, erspart sie/er sich unnötige Umwege.
Stolpersteine
Dieses Strukturelement enthält alle bekannten Hürden, die bei der Beschreitung des Lösungswegs auftreten können und wie man sie am besten bewältigt bzw. umgeht.
Anwendungsbeispiele
Möglichst anschauliche Beispiele aus unterschiedlichen Anwendungsbereichen führen dem/der Anwender/in vor Augen, wie sie/er das Muster in der Praxis einsetzen kann.
Verbundene Muster
Das Muster wird mit anderen Mustern in Beziehung gesetzt und führt alle Muster an, mit welchen es gemeinsam verwendet werden kann.
Z.B. benötigt das Muster Begleiteter Wissenstransferprozess stets auch das Muster Selbstgesteuerter Wissenstransfer, weil ein begleiteter Wissenstransferprozess immer auch selbstgesteuerte Aktivitäten enthält (nähere Erklärung siehe Musterbeschreibungen).
Alternative Muster
Hier werden alle Muster aufgelistet, die alternativ verwendet werden können. Es werden ggfs. relevante Unterschiede skizziert, um die adäquate Anwendung zu erleichtern.
Referenzen
Damit der/die Anwender/in sich möglichst sicher sein kann, dass das Muster aus vertrauenswürdigen Quellen schöpft, enthält dieses Element alle relevanten Quellen und Referenzen zum Inhalt des Musters. Falls keine Referenzen angeführt sind, kann sich der/die Anwender/in darauf verlassen, dass die AutorInnen die besten Lösungen aus ihrem reichen Erfahrungsschatz anbieten.
AutorInnen
Alle AutorInnen, die an der Entwicklung dieses Musters beteiligt waren und zum Muster Auskunft geben können.
...
Deep Dive: Wie sieht ein Muster beispielhaft aus?
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organisationale Säule: Kompetenzentwicklung für die Wissenstransferbegleitung
individuelle Säule: Begleiteter Wissenstransfer
Operationalisierung: Wie nutze ich die Mustersprache?
Für das Wissensgebiet Wissenstransfer ist die Entwicklung einer Mustersprache ein neuer Ansatz. Die Autor_innen versuchen mit ihrer Hilfe, ihre Gedanken und langjährigen Erfahrungen zu strukturieren und zu kommunizieren. Es existiert nicht DIE richtige Art und Weise, wie Mustersprachen zu schreiben sind. Daher hat sich das Autor_innen-Team im Rahmen des laufenden Entwicklungsprozesses auf die hier beschriebene Form geeinigt. Die Muster sind als Vorschläge zu verstehen, die ausprobiert und angewendet werden sollen, wo immer sie hilfreich erscheinen.
Um einen Überblick über die Mustersprache zu erhalten, sollte man sich zunächst auf die Kurzzusammenfassungen der Muster konzentrieren, die die Aufgabenstellung als Frage, den Kontext und eine Kurzfassung der Lösung beinhalten. Hat man ein Muster gefunden, das für den eigenen Fall besonders interessant erscheint, prüft man in den Musterbeschreibungen (erreichbar über den Link in der Überschrift der Muster-Kurzbeschreibung) den Abschnitt Spannungsfelder, ob sie für die vorliegende Situation passend sind.